Donnerstag, 22. September 2011

Ignorance Killed The Reality Star

Was, schon wieder Wochenende?!?
Wie kann es sein, dass die Zeit hier vorbei rast und sich Schulstunden in Deutschland mit der Geschwindigkeit einer eher faulen Kontinentalverschiebung fortbewegt haben.

Ich bin jetzt drei Wochen an diesem verrückten Land, das unproportional viel Platz in den Medien beansprucht, verglichen mit der tatsächlichen Größe.

Back to the work:
Die Arbeit läuft immer besser, die Friends bauen schon ein richtiges Vertrauen zu mir auf, und ich habe schon oft Teile der Gruppe allein betreut. Ohne verprügelt zu werden...
Ich spare mir jetzt minutiös geschilderte Tagesberichte, möchte euch aber an einigen Anekdoten teilhaben lassen.

Die Musch-Musch-Affären:
(Der geänderte Name ist zugegebenermaßen blöd, aber der echte ist auch nicht besser.)
Musch-Musch ist sowohl in meinem Haus, als auch in meiner Tagesgruppe. Er sieht harmlos aus, ein bisschen wie ein Büroarbeiter, der seinen Anschlussbus verpasst hat. Eben jener hat eine ganz possierliche Art, er stottert und lallt, ein bisschen wie ein bettelndes Kleinkind.
Aber das ist er nicht. Leider. Musch-Musch, der gerne Mal Küsschen gibt, hat eine aggressive Ader. Am Nachmittag, ich war nicht mehr da, den Auslöser kenne ich also nicht, sah sich Musch-Musch in die Notwendigkeit versetzt sein Zimmer zu zerstören, und dabei auch das Klo herauszureißen...
Einmal, in meiner Anwesenheit hat er aus Protest auf den Boden gekotet, und einmal fröhlich zum Start in den Morgen springflutartig seinen Mageninhalt herausgekotzt.
Aber abgesehen davon ist er wirklich herzallerliebst, hätte er nicht diese unangenehme Angewohnheit als Morgenritual in sein Zimmer zu pinkeln.
Na ja, jetzt, wo er eh keine Toilette mehr hat, kann man ihm das auch nicht so recht übelnehmen.

Die Lulu-Chroniken:
Dieser Friend spottet jeder Beschreibung. Optisch sieht er ein wenig aus wie mein ehemaliger Chemielehrer, den ich sehr schätze. Stellen wir uns diesen Mann nun nach 20 Jahren Kokainsucht, und einem Fetisch für Fett vor. Das grässliche Bild was sich nun bietet ist noch fern der Realität, aber immerhin. Lulu ist um die 60 Jahre alt, dick, haarig und sehr sehr eigen. Als Kind lernte er von seiner Mutter sich auf Kissen zu entleeren, warum auch immer... das tut er nun nicht mehr, nicht mehr so oft, ist aber von Körperhygiene nicht sehr begeistert. Wirklich nicht. Da ich meistens am Morgen der erste bin der das Haus betritt und die Nachtschicht ablöst, kommt mir die Aufgabe zuteil Lulu zu duschen, da er mich freudestrahlend und nackt begrüßt. Und das ist wirklich nicht so prickelnd. Aber was will man machen, es ist schlimmer alte Männer zu riechen, als sie schnell zu duschen.
Doch wir haben ein gutes Verhältnis zueinander: „He is an old, pervert, rumanian bastrerd. If he would not be an authistic, he would do terrible things to little boys!“, so einer der Guides

Jetzt hat das Wochenende begonnen, gleich fahren wir auf eine Hausparty und morgen feiern wir am Strand in Hannah´s Geburtstag rein, es reicht also für heute. 
Man muss ja nicht immer alles auf einmal erzählen.

Doch um einmal zu versuchen die Quintessenz meiner Woche herauszubilden:
„Tarim michnaßáim!“
-Zieh deine Hose hoch!

Freitag, 16. September 2011

Samstag ist Selbstmord

Die zweite Woche ist vorbei und die Schläfrigkeit des Shabbats fängt auch an durch die Straßen der Stadt zu schleichen.
Doch war es erneut eine enorm ereignisreiche Woche!

Fangen wir mit etwas weniger erfreulichen an: Ich hab ordentlich einen vor den Latz bekommen!
Jasch (ich werde nie den Originalnamen eines Friends nennen) fühlte mich am Dienstag durch meine Anwesenheit so stark in seiner Lebensqualität eingeschränkt, dass er es für eine gute Idee hielt mir mit voller Kraft auf den Rücken zu schlagen.
Ja, es tat sehr weh; War aber alles in allem nicht so dramatisch.
„This was not the first time, and not the last time, that some one hits me“
Nu ja, als Trost bekam ich vom Projekt einen Frühstücksgutschein geschenkt. Hat alles immer seine zwei Seiten...

Aber Gewalt ist etwas alltägliches in der Arbeit mit vielen Behinderten, und nicht das Schlimmste.
Ich persönlich empfinde die Gewalt nach außen (die wirklich nicht sehr häufig aufkommt) weniger verstörend, als Autoaggression: Wenn man etwas draufbekommt, dann ist das eben so, aber viel unerträglicher ist der Anblick eines Menschen, der sich nicht davon abbringen lassen will, den Schädel mit solcher Wucht gegen die Wand zu schlagen bis die Haut aufplatzt und er zu bluten anfängt.

Nach diesem unangenehmen, aber tatsächlich existierenden Teil meiner Arbeit nun ein Ausflug in meinen Arbeitsalltag:

5:45 Uhr: Fluchen, Aufstehen und duschen. Lecker Kaffee mit Instandpulver trinken. Gott wie ich mich    schäme...

6:30 Uhr: Bus erwischen und hinsetzten. Die Gegend betrachten und versuchen nicht die ganze Zeit böse zu gucken.

6:55 Uhr: Aus dem Bus aussteigen, Zigarette anzünden und zum Projekt gehen.

7:00 Uhr: Mit der eigenen, ganz persönlichen ID-Card einchecken, voll arbeitnehmermäßig, und dann in mein Haus gehen.

In meinem Haus, dass heißt ein Bereich des Gebäudekomplexes, kein eigenes Haus leben insgesamt
9 Friends. An anderer Stelle werde ich sie näher beschreiben. Meine erste Aufgabe ist es, die verpennte Kraft der Nachtschicht abzulösen, und beginne die Friends fertig zu machen. Je nach Selbständigkeit des Bewohners reicht es, diesen zu wecken und beim Ankleiden zu helfen. Andere muss man duschen und regelrecht dazu zwingen dieses Grundmaß an Körperhygiene über sich ergehen zu lassen. Ein Guide, d. h. ein Festangestellter macht in der Zwischenzeit das Frühstück fertig, oder auch ich, am wechselt sich da ab.
Unterlegt wird das ganze von schöner Punkmusik oder brummenden Elektrobässen.
Wenn die Friends gegessen haben, und man verhindert hat, dass sie sich gegenseitig das Essen streitig machen haben die Bewohner noch Zeit sich in Ruhe in ihren Zimmern aufzuhalten oder Sitcoms auf Englisch, wahlweise hebräische Werbung im Fernsehen zu gucken.

9:00 Uhr: Nachdem nun die Friends gewaschen, gesättigt und mit lecker Medikamenten eingedeckt sind, werden sie in ihre festen Gruppen gebracht. In ihren Gruppen werden sie dann den Tag über betreut und und auf verschiedene Arten beschäftigt.

Die Aktionen in meiner Gruppe sind neben zwei kleinen Snacks ein Spaziergang mit kleinen Picknick, die Geschichtsstunde und der Swimmingpool.

Das Picknick:
Nachdem die Friends mit Sonnencreme und hübschen bunten Kappen eingedeckt sind gehen wir los. Der Weg führt aus dem Gelände heraus durch ein Green village (eine Art Mischung Schrebergartensiedlung und Kibbuz) zu einem Platz auf dem zwei, drei Bäumchen gnädig Schatten spenden. Eine Decke wird ausgelegt, Orangen geschält und Pflaumen verteilt. Dazu eine Tasse gewürztes Wasser. Man muss übrigens aufpassen, unsere Friends haben ein großes Freiheitsbedürfnis und sind Verfechter der Freizügigkeit. Man muss sich also in Acht nehmen nicht hinterrücks angepinkelt zu werden. Hätte ich das mal vorher gewusst...
Und dann zurück zum Projekt, und immer schön aufpassen, dass keine Zigarettenstummel gegessen werden!

Der Pool:
Jeden Tag darf eine kleine erlesene Anzahl meiner Friends in den Pool steigen und sich am Wasser erfreuen. Um von vorneherein klarzustellen: Der Pool ist nicht erfrischend kühl, er ist körperwarm und so stark gechlort, dass man bei einmaligen Untertauchen Gefahr läuft zu erblinden.
Doch die Friends haben ihren Spaß und spielen z.T. sehr vergnügt mit den Wasserbällen oder mit sich selbst. Dann duschen und zurück in den Gruppenraum.


14:00 Uhr: Die Arbeit in der Gruppe ist beendet und ich gehe zurück zum Haus hoch um den Friends das Mittagessen zu servieren.

15:00 Uhr: Ende des Tages, auschecken „still arbeitnehmerlike“, und zur Bushaltestelle sprinten um die 24 zu kriegen.

Die Arbeit im Kfar Ofarim ist sehr anstrengend und oft auch nervenzehrend, aber dennoch sehr erfüllend und witzig, so schräg das klingt.

Das war es soweit von mir, hoffe es geht euch allen gut und ihr genießt das Wetter.
Wie ich mich nach Regen sehne... Als ob!

Shabbat Shalom,
euer Johannes

Donnerstag, 8. September 2011

Yes, we´ll finish this job!

I´m so happy, coz today I found my friends“

So singt es Kurt Cobain, und damit hat er recht.
Heute geht die erste Woche zu Ende und ich sehe mich endlich in der Lage diesen duften Blog mit einem netten Beitrag zu kandieren.

Die erste Woche war ereignisreich. Sie war anstrengend, verstörend, laut, stinkend, heiß, abenteuerlich und echt abgefuckt.

Und ich war selten so zufrieden.

Am Sonntag (in Israel der Montag, Schabbat und so) begann unser Tag sehr entspannt: Um 9 Uhr trafen wir uns mit Osnat, der Verantwortlichen für die Volontäre im Kfar Ofarim und bekamen erstmal Kaffee angeboten. Guter Start.
Nach einer kleinen Führung durch das Gebäude und einer „brief history of the Kfar“ endete unser erster Arbeitstag auch schon.
Der zweite begann um 5: 45 Uhr mit dem Aufstehen. Dann den Bus erwischen und los!
Es ist so: Wir vier deutschen Volontäre der EKIR wurden alle jeden Tag verteilt in verschiedende Gruppen geschickt, um zu sehen, wie wir auf die Friends ( d.h. die Bewohner/Kunden/Klienten) reagieren und umgekehrt.

Ich spare mir jetzt die genauen Beschreibungen der Gruppen, Friends und Guides, denn manches muss man einfach selbst gesehen haben. Oder gerochen. Es werden im Grunde alle Sinne angesprochen bei der Arbeit.

Ich möchte an dieser Stelle einmal entschieden der internationalen Musikindustrie und den Machern von Southpark danken, die mir Englisch beigebracht haben. Die Schule war es nämlich nicht!
Denn ohne Englisch ist Kommunikation im Grunde nicht möglich, wenn man kein Ivrit kann.
Oder Esperanto, aber wer kann das denn schon...
Aber die meisten Israelis können Englisch „more or less“, was echt klasse ist.

Ich werde nun für ein Jahr in einer Gruppe arbeiten, die neben der von Matthias die wohl härteste im Kfar ist. „Watch your back!“, warnte mich Kenan der Gruppenleiter. Kenan ist echt klasse, spricht ein hervorragendes Englisch und sieht weniger wie ein Israeli, mehr wie ein glatzköpfiger Wikinger aus. Hammer Kerl.
Die 7 Friends der Gruppe werden ein anderes Mal beschrieben, wir wollen ja nicht unnötig vorgreifen, oder?!?

Die Arbeit wird im Kern daraus bestehen mit den Friends zu essen, sie zu beschäftigen, sie im Pool zu betreuen und auf Picknick-Ausflüge zu begleiten. Details folgen.

Die Guides, das heißt die Gruppenleiter sind (fast) alle sehr nett, zuvorkommend und auf eine gewisse Weise durch. Im positiven Sinne.

Einer der cooleren, ein jüdisch-britischer Punk, der seit 4 Monaten in Israel lebt, hat mich kurzerhand auf eine Party in Tel Aviv eingeladen.

Guter Start finde ich.

Oha, jetzt hätte ich fast den intellektuellen Anspruch vergessen, den ich ja hier vertrete.

Die Levante ist voller Mikroben“ - Amos Oz

Samstag, 3. September 2011

Sitting, Waiting, Wishing oder Feiern in Tel Aviv

Busfahren in Israel, Taxi bestellen in Tel Aviv, Feiern in Jaffa.

Darüber werde ich heute nicht berichten.
Es ist Shabbat, also weg vom PC und kümmert euch um eure Lieben.


Johannes





Donnerstag, 1. September 2011

Ankommen für Fortgeschrittene



Es kommt nicht auf den Anfang einer Geschichte an, auch nicht auf das Ende. Es geht um das Dazwischen.“

Schade eigentlich. War der Anfang in Israel doch so vielversprechend und abenteuerlich.
Ankunft und Abfertigung in Frankfurt waren ebenso problemlos wie unerwähnenswert.
Doch sei hier noch einmal der Sinn für pathetische Theatralik meiner Brüder genannt, der vor Kreativität und Romantik nur so strotzt.:)

Nun denn, es ging also in den Flieger und ich verschone euch jetzt mit Einzelheiten von Bordkost, Luftlöchern und Entertainmentprogramm.
Schön ist, dass ich jetzt schon die Visitenkarte meiner jungen, sehr freundlichen israelischen Sitznachbarin bekommen habe: „If you got problems, or something is getting shitty, call me“

Dann war er da, der Flughafen Tel Aviv: Ben Gurion. Da es bis jetzt zu problemlos verlief, musste es nun natürlich knüppeldicke kommen:
Zuerst verlor sich unsere Gruppe von insg. 8 Freiwilligen in zwei Grüppchen.
Dann waren die Sicherheitsbeamten nicht so ganz mit unseren Papieren einverstanden.

Also ab in die Verhörkammer, in Ketten gelegt, geknebelt und gefoltert.

Na ja, eigentlich kamen die Beamten nach desinteressierten Betrachten eines offiziellen Schreibens zu dem Entschluss, dass wir keine verfassungsfeindlichen Lumpen waren konnten wir auch ohne weitere Umstände den Flughafen verlassen.

Dann wurden wir abgeholt, von der äußerst netten Osnat, die verantwortlich ist für die Volontäre in den verschiedenen Projekten. Dann ab in den Sprinter und durch das nächtliche Tel Aviv (so um halb 5).
Ich spare mir jetzt erneut Beschreibungen, denn das sollen Photos machen (die hoffentlich auch bald folgen ...)

Zwei Mädels unserer Gruppe wurden einen Stadtteil (Peith Tikwa) von uns entfernt einquartiert. Es hieß, man würde sie erwarten, doch das war nicht der Fall: Auch nach mehrmaligen Klingeln wurde die Tür nicht geöffnet, und dann kam der israelian way of life zum Vorschein: Unser Fahrer nahm kurzerhand seine Kreditkarte und öffnete die Tür auf diese unkonventionelle Art.

Wir sollten eigentlich auch erwartet werden, doch überraschten die drei Mädels im Schlaf.
Nach so einem sympathischen ersten Eindruck erfuhren wir, dass diese drei, Anfang zwanzig Sozialarbeit studieren und das Land schon Ende diesen Monats wieder verlassen werden.


Ja, was denn noch?
Es ist heiß, Tomaten sind billig, es ist heiß, Bier ist teuer (7, 45 Schekel !!! [viel Spaß beim Umrechnen]), es ist heiß, Ortodoxe teilen sich die Straße mit unverschämt hübschen Soldatinnen und es ist heiß.

Am Sonntag beginnt mein erster Arbeitstag, ich bin gespannt und freue mich.

Bis zum nächsten Mal,

Johannes