Sonntag, 23. Oktober 2011

Er ist frei!


Er ist frei! Gilad Schalit der über 5 ½ Jahre in palästinensischer Haft gesessen hatte ist frei. Eingetauscht gegen 1027 palästinensische Terroristen (das heißt ein Crossover aus Steinewerfer, Bombenleger und Zur-Falschen-Zeit-am-falschen-Ort). Das ist natürlich ein Grund zum Feiern, oder?!? Zwiegespalten sehen das die Israelis, zum einen sind sie natürlich dafür Kameradschaft und „No-man-left-behind“. Die andere Seite, die Menschen durch den Terror verloren haben, sind schwer dagegen und finden es unerträglich die Schuldigen in Freiheit zu wissen.
Aber da der israelische Staat seinem eigenen perversen Militarismus und dem verqueeren Netanjahu-System treu bleibt, wurde der arme Gilad in die Uniform gezwängt und den Kameras zum Fressen vorgeworfen. Werten will ich nun nicht, freuen wir uns einfach, dass jetzt viele Familien wieder zusammen sind. Wie versöhnlich...
Achja: Um zu illustrieren, dass dies ein wahrlich geschichtsträchtiger Tag war, lief in den Tel Aviver Discotheken „I´m Coming Home“ von Skylar Grey.

Nun noch eine Reader´s Digest Version meiner Woche:
Noch ein Friend-Geburtstag, eine Einladung nach Haifa (mit kostenloser Stadtführung vor Ort  von einem Reiseführer, der Vater vom Geburtstagskind ist), noch ein Frühstücksgutschein aufgrund einer Attacke, sich jeden Tag über das Röcheln der FDP freuen, Jerusalem besucht, Shabbatdinner mit Wein & Gebet gehabt, einem Friend mit panischer Angst vor Tieren dazu gebracht eine Katze zu streicheln,Busticket verloren und sich wundern warum nach dem Feiern „Fuck the Occupation“ in arabisch auf meinem Arm stand.

Ja, die Levante ist völlig verrückt.

Nur das Schönste nach Deutschland,
Laila Tow
Johannes

Samstag, 15. Oktober 2011

Gay Bar

Diese Woche war natürlich wie immer actiongeladen und reich an Stoff für Gespräche, Bücher und Therapiestunden.
Aber ich möchte nun nicht so viel über die Arbeit erzählen, da wir diese Woche nur drei Tage arbeiten mussten, da wir durch die Sukkot-Feiertage frei hatten.
Und was macht man an so einem langen Wochenende? Na klar, man geht aus.
Also hinein ins bunte Leben Tel Avivs.
Dann ohne Eintritt zu bezahlen in den Breakfast Club, der leider anfangs so leer und aufregend war, wie man es sonst nur in deutschen Eckkneipen seit dem Rauchverbot kennt.
Aber da Geduld und Standfestigkeit bekanntermaßen die Tugenden meiner Kumpanen Matthias und Peter und eben auch mir sind, blieben wir bis auf weiteres in der dem Club angeschlossenen Kneipe. Da nach 45 Minuten immer noch die Stimmung auf deutschem Eckkneipenniveau war, entschlossen wir uns den Platz zu räumen und den verfrühten Heimweg anzutreten. Waren wir naiv.
Wir sind nämlich mitten in eine Party der Tel Aviver Schwulen- und Lesbenszene reingeschlittert.
Davon lassen wir uns natürlich nicht beirren und haben das gemacht, was man in Diskotheken eben macht: Tanzen. Und ja, ich wurde gefragt, ob ich straight (d.h. Hetero) bin, und ja ich wurde von Männern angetanzt. Aber von den hübschen.

An dem Abend haben wir sehr viele nette Menschen kennengelernt, die ganze Szene war sehr freundlich und hilfsbereit. Vor allem aber waren sie fröhlich und haben ausgelassen und unverkrampft das Leben gefeiert.

In Israel haben Homosexuelle keinen leichten Stand. Die Folgen des „Sich Outen“ sind hier weit schwerwiegender als beispielsweise in der Bundesrepublik.
Was nicht schwer vorzustellen ist, wenn man sich bewusst macht, dass dies eine kaum säkularisierte Gesellschaft ist, in der die Religion eine sehr hohe Rolle spielt. Dennoch ist Tel Aviv, weltweit eine Art homosexuelle Hochburg, was sehr vielen Menschen missfällt, die Tel deswegen auch das Tel-Aviv-land nennen. Und damit nicht nur Homosexuelle, sondern auch unkeusche Verhaltensweisen und die Missachtung des Shabbats einbeziehen.


Nächste Woche werden die Mitfreiwilligen Caspar und Ilka in der Nähe von Haifa besucht, was mit Sicherheit auch wieder viel Stoff für Gespräche, Bücher und Therapiestunden liefern wird.


Alles Gute nach Deutschland,
Lehitra´ot
Johannes

Samstag, 8. Oktober 2011

Jom Kippur


Jom Kippur oder der Stillstand eines Staates

Heute ist Jom Kippur, der höchste Feiertag der jüdischen Religion.
Dieses Jahr fällt der Tag der Versöhnung auf den 8. Oktober und mit dem Sonnenuntergang des Vortages beginnt eine 25-stündige Fastenzeit.
Und die hat es in sich! Es fahren keine Autos oder Busse auf den Straßen, es gibt kein Fernsehen oder Radio, die Grenzposten und Checkpoints sind geschlossen und der Flughafen hat den Betrieb eingestellt.
Es ist der Tag der Kinder: Den ganzen Tag, auch wenn ich diese Zeilen schreibe, hört man spielende Kinder mit ihren Interlineares und Fahrrädern die freien Straßen bevölkern.
Was jedoch nicht einschränkt wird, ist die Militärbereitschaft, da 1973 Syrien und Ägypten die Lähmung durch diesen Tag zu nutzten und Israel anzugreifen.

Heute ist der Abschluss der 10-tägigen Periode der Reue und Buße, das heißt nun kann wieder entspannt gesündigt werden.

Über meine Woche gibt es sonst leider nicht so viel zu erzählen, da ich mich (Matthias und Marisa ebenfalls) mit einem ausgewaschenen Magen-Darm-Virus infiziert habe und deswegen das Wochenende sehr harmlos ausgefallen ist. Schade eigentlich.

Aber versprochen, für die nächste Woche nehme ich mir wieder was spannendes vor.
Verhaftet werden, Straßenschlägerei, Konvertierung oder so.
So viele Möglichkeiten...

Ach Quatsch, natürlich nicht.


Aber: Photos sind nun endlich doch da! Hier rechts ist ein Button, der euch auf das Webalbum mit ein paar Photos bringt.


Alles erdenklich Gute nach Deutschland, ich geh jetzt schlafen.
Und wir haben erst halb Zehn.
Ich werde alt.

Johannes

Sonntag, 2. Oktober 2011

Today´s a day to celebrate

Ist es denn die Möglichkeit, schon wieder Sonntag...

Und natürlich wieder eine Menge zu erzählen, reden wir also erstmal nicht über die Arbeit, sondern über Ferien!
Ja wir hatten Ferien. Roshashanan heißt das zauberhafte Fest, das jüdische Sylvester.
Das wird aber nicht wie bei uns meißt laut und feucht-fröhlich begannen, sondern es ist sehr ruhig und besinnlich. Da uns diese Besinnlichkeit natürlich zusagt, sind wir erst einmal in den schönen Norden des Landes am Jordan gefahren, zum See Genazereth.
Doch sollen nun wirklich Bilder sprechen, ich will nur stichwortartig festhalten, was wir alles erlebt haben:
- Hitze
-zwischen der Zeltplane schlafen, ich Doof hab natürlich Isomatte UND Schlafsack vergessen
-Mücken
-betrunkene russische Familien (sehr nett diese Herrschaften)
-die schönsten Landschaften der Welt
-rauchende Kellner (also beim Servieren)
-ausbeuterische Nobelhotels, die sich als Pilgerherbergen tarnen

und den (Fast-) Gewinner des israelischen Pendant zu „Wer wird Millionär“, der sein Kibbuznik/Taxifahrer Leben nicht aufgeben will, sondern seiner Tochter die Universität und Wohnung bezahlen will

Ich denke die Photos sprechen ihre eigene Sprache.

Aber nun zur Arbeit: Auch wenn manches dramatisch klingt, ist es ein ganz hervorragendes Projekt!
Das Haus wurde in den 70ern (glaube ich) errichtet und ist das erste seiner Art in Israel.
Vorher wurden Behinderte, vor allen geistig Eingeschränkte in grässlichen Nervenkliniken gehalten und wurden entweder geschlagen oder mit Stromschlägern malträtiert.
Das Kfar ist also die Avantgarde in diesem Land, die Member werden auch nicht ohne Grund friends genannt: Man bemüht sich um ein Miteinander auf Augenhöhe, einen respektvollen und familiären Umgang, der aber eine Menge Spaß, Witze und Neckereien Raum bietet.
Die Guides, das heißt die Hauptamtlichen sind leider zum großen Teil ohne Ausbildung und werden miserabel (wirklich!) bezahlt. Es ist aber wunderbar zu sehen mit welcher Freude und mit welchem Enthusiasmus sie ihre Friends umsorgen.

Heute haben wir den Geburtstag eines Friends gefeiert. Und wie! Nach meiner regulären Schicht, sind das ganze Haus und alle Guides, die in dem Haus arbeiten mit den 8 anderen Hausbewohnern in den Stadtpark gefahren. Die Eltern nebst Schwester haben dann Cola, Falafel und Würstchen bereitgestellt und wir haben alle zusammen gegessen, getrunken und gelacht.

Das ist etwas, was ich nicht aus Deutschland kenne, dieses Miteinander, der Familien und Guides. Alle Friends, aus dem Haus des Geburtstagskind waren dabei, und die Eltern kannten alle namentlich und waren mit ihnen vertraut.
Im Laufe des Abends kamen sogar noch Guides, die schon seit Jahren nicht mehr im Kfar arbeiten, nur um für einige Zeit ihre Arbeitskollegen und Friends zu treffen.
Ich habe mich (bin ja gut erzogen...) bei den Eltern und der Schwester für die Einladung bedankt.

Der Dank wurde aber abgelehnt. Im Gegenteil: Hat man sich bei mir bedankt, dafür dass ich (und die anderen natürlich auch) mich um die Menschen kümmere, und sie in ihrem Alltag begleite.

So zum Schluss noch ne dufte Sache: Morgen ist Tag der deutschen Einheit, und da wir unsere alten nostalgisch-patriotischen Gefühle ausleben müssen, haben wir morgen frei.

Alles Liebe zu euch nach Deutschland,
Lechaim!